01 Journal Kleist

Soll ich nach Wien gehen?

KLEIST! Ob ich das will?

Kleists 200. Todestag Ende November und das grundsätzliche Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Performerin Barbara Kraus sind Anlass, dass ich mich endlich eine Zeitlang intensiv mit einem meiner Lieblingsautoren, dem furiosen Kleist, auseinandersetze, seinem „heiteren“ Freitod, seiner Wien-Sehnsucht, seiner Widerständigkeit. Der Rappelkopf hat sich nämlich mit den Verhältnissen, die er vorfand, nie einfach nur abgefunden – Widerständigkeit, Rappelköpfigkeit im Bezug auf die bestehenden Verhältnisse  – das ist der Punkt, der uns alle interessiert und der uns letztendlich auch zusammenführt:

die Performerin Barbara Kraus und mich, die „Theater“ Regisseurin, unterstützt von einer kritischen Dramaturgie und einer engagierten Assistentin.


Textmaterial zu Kleists zahlreichen Reisen – stattgefundenen, nicht stattgefundenen, erträumten, Briefe, Briefwechsel im Kontext des bevorstehenden Selbstmords gemeinsam mit Henriette Vogel (man weiß, wie er sich das Leben genommen hat – zu zweit, denn man stirbt niemals allein – wie Artaud sagt), andere Kleist Primär- und Sekundärtexte sind unser Ausgangsmaterial.

Die Spielfassung entwickle ich die Proben entlang…stelle nach einer Probe für den nächsten Tag immer wieder neue Bausteine zusammen…irgendwann entsteht nach und nach aus der Überfülle des Materials entlang der Hauptfäden die Spielfassung.


Für Barbara ist neu im Hinblick auf relativ zuverlässig reproduzierbare Abläufe in den vier oder fünf zunächst geplanten Vorstellungen Texte „auswendig“ zu lernen und so zu lernen, dass sie nicht nur frei reproduzierbar sind sondern bei aller Präzision wieder frei zum Spielball für sie, die Performerin werden. Spannungsbögen, Rhythmen, Brüche und Neuanfänge in den einzelnen Phasen müssen präzise gesetzt werden. Die jedem Theaterabend eigene Musikalität soll sich entwickeln, Raum für kleine Höhe- und Wendepunkte im richtigen Timing bleiben. Für mich gilt, bei Barbara die Lust an der Textarbeit zu wecken und mit ihrer „Anarchie“, die immer eine zugewandte ist, umzugehen. Wie spannend!


Probenprotokoll | Auszug

5. Sept 2011 | Probenbeginn


anwesend:

Barbara Kraus Performerin Sabine Mitterecker Regisseurin Camilla Reimitz Assistentin

Uwe Mattheiss Dramaturg


Überhöhung, Ideen ohne Körper, Musikalität Kleists, Verschwendung, Fehlinterpretation, falsche Wahrnehmungen, welche Rückschlüsse sind aus historischen Parallelen zu ziehen, Maßlosigkeit, Fluchtverhalten, Militär, Krieg, Sprunghaftigkkeit, Vernunft, Tugend, Brüchigkeit – auch in Bezug auf (Liebes)Beziehungsmuster: das feudale Heiratssystem gibt es nicht mehr, das Modell der bürgerlichen Liebesheirat ist noch nicht gültig – mit diesen Schlagworten und der Diskussion darüber steigen wir in die Arbeit ein.


Stottern, murmelnde Selbstgespräche, pathologischer Ordnungszwang bei verschwenderischem Chaos, hohes Schmerzempfinden – erste Anregungen für Barbara


Schlichter Herrenanzug, feine Schuhe.

Eine der ersten Fragen, die Barbara stellt, ist, ob den auch ihr Alter Ego JohnPlayerSpezial zur fallweise und spontanen Teilnahme eingeladen sei. Ich ersuche sie Johnny erstmal ein paar Tage frei zu geben…


Fortsetzung folgt…

sabmitt